favicon_B

Die Brut der Anderen I

 

Teil 1    Heute überlasse ich den Stift Uta Allgaier. Sie ist Journalistin, schreibt Bücher für Eltern und den erfolgreichen Familien-Blog „Wer ist eigentlich dran mit Katzenklo?“ Sie hat einen Teil meiner Patchwork-Familiengeschichte als Artikel für das Magazin „anders handeln“ geschrieben und das so schön, dass ich ihr hier den Vortritt lassen möchte, diesen Part zu erzählen:

DIE BRUT DER ANDEREN

Claudia Hillmer arbeitet als Therapeutin mit Eltern und Kindern und mit vielen Patchwork-Familien. Sie selbst lebt seit 17 Jahren in einer solchen Konstellation und erzählt von sehr persönlichen Momenten der Wahrheit, die für den Zusammenhalt ihres Clans entscheidend waren und sind.

Autorin: Uta Allgaier Foto: Paula Markert

Vor 16 Jahren verliebte sich Claudia in Kai aus Hamburg (Anmerkung: der Name meines Mannes und die Namen meiner Kinder sind in diesem Artikel von der Redaktion geändert worden). Dieser lebte seit drei Monaten von seiner Partnerin Marie getrennt. Mit Marie hatte er die Kinder Smilla und Jakob bekommen, zum Zeitpunkt der Trennung dreieinhalb und eineinhalb Jahre alt. Als Claudia von Karlsruhe zu Kai nach Hamburg zog, wurde sie nicht nur seine Lebensgefährtin, sondern auch für dreieinhalb Tage in der Woche die Ersatzmama für seine beiden Kinder.

Denn als Marie und Kai sich getrennt hatten, hatten sie beschlossen, sich zu gleichen Teilen um ihre Kinder zu kümmern: Eine halbe Woche wohnte Marie mit den beiden in der alten Wohnung, dann räumte sie wieder das familiäre Feld, wenn Kai sich für den Rest der Woche einquartierte. So gab es für die Kinder in der ersten turbulenten Zeit der Trennung zumindest eine Konstante: die vertraute Wohnung. Für Claudia allerdings war gar nichts mehr vertraut. Auf einen Schlag hatte sie nicht nur einen Mann, sondern auch zwei Kinder. Und zwar in einem Alter, in dem sich die Kleinen schnell darauf einstellen, eben zwei Mamas zu haben. Das Modell funktionierte gut, so gut, dass die fünfjährige Smilla nach gut einem Jahr den Vorschlag machte: »Papa kommt wieder mit Mama zusammen, Claudi wird dann meine große Schwester und wir wohnen alle in einem Haus.«

AUS LIEBENDEN WERDEN LOGISTIKER

Die Erwachsenen folgten diesem Vorschlag nicht. Papa heiratete Claudia. Die Mama der Kinder zog in einen anderen Stadtteil. Smilla kam in die Grundschule, Jakob in eine neue Kita und Claudia wurde schwanger. Umzüge, weite Wege, Schulpflicht, neue Babys – das sind die Herausforderungen für »Patchworker«. Das komplexe Mobile, das gerade noch sanft in einem Luftzug schwebte, bekommt Schlagseite oder wird wie in einem Sturm verwirbelt. Eingespielte Zeitpläne werden vom Kühlschrank gerissen. Der ganze Alltag muss generalstabsmäßig neu geplant werden. Und aus Liebenden werden Logistiker.

»Hast du das Stofftier?« – »Bei wem liegt der Turnbeutel?«

Das neue Teil im Mobile heißt Tom. Nun hatten Kai und Claudia einen gemeinsamen Sohn und Claudia das erste Kind, das man aus sichtbaren Gründen »leiblich« nennt. Als ihr der kleine Kerl direkt nach der Geburt auf den Körper gelegt wurde, überwältigten sie das Glück und die Flut der Bindungshormone. »Frau Hillmer«, sprach sie zu sich selbst, »das, was da auf deinem Bauch liegt, ist Liebe pur.« Da ahnte Claudia zum ersten Mal, dass es schwierig werden könnte, keinerlei Unterschied zu machen zwischen den angenommenen Kindern und dem eigenen Kind. »Jetzt fängt die Wertigkeit an, die ich verhindern wollte.« Claudia kümmerte sich weiter halbwochenweise um Smilla und Jakob. Sie übernahm auch noch die Kita-Eingewöhnungvon Jakob, weil die Ex-Frau ihres Mannes für einen Marathon trainierte und Kai wegen beruflicher Verpflichtungen seinen Sohn nicht begleiten konnte. In dieser Zeit veränderte sich etwas für Claudia. »Ich saß im Auto, fuhr Jakob morgens früh in die Kita, mit genug zeitlichem Puffer, um ihn sanft in seine neue Umgebung einzuführen. Dafür habe ich mein Baby aus dem Schlaf gerissen und stand nun im Stau auf der Autobahn. Tom brüllte hinten in seiner Babyschale, weil ihm der Schnuller aus dem Mund gefallen war. Ich kam nicht dran und er schrie und schrie. Da dachte ich: Wegen eurer Brut muss mein Baby jetzt schreien. Da habe ich es zum ersten Mal als Last empfunden, mich um meine geschenkten Kinder zu kümmern.«

Trotzdem machte Claudia tapfer weiter.

In Teil 2 lest in der nächsten Woche wie es weiter geht!

 

Share