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Mein Kind, dein Kind

© Adobe Stock und Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag GmbH & Co KG

Das folgende Interview ist in den Wochenendausgaben mehrerer Norddeutscher Zeitungen erschienen. Heute erscheint es auf meinem Blog 😉
Vielen Dank an Julia Voigt, die mit mir das folgende Gespräch geführt hat.

MEIN KIND, DEIN KIND

Wer feiert mit wem Weihnachten und Geburtstag? Wie viel Zeit vor dem Fernseher darf sein und wer räumt die Spülmaschine aus? Wer darf was und wer darf was nicht? Regeln und Strukturen, die sich in einer Bio-Familie im Laufe der Zeit entwickeln. Trennen sich Eltern jedoch und gehen wieder Partnerschaften ein, wird neu gewürfelt und versucht aus Stückwerk ein Ganzes zu machen. Doch gut die Hälfte der Patchworkfamilien scheitert.

Familienberaterin Claudia Hillmer aus Hamburg kennt die Fallstricke und versucht, Lösungen zu finden.

Frau Hillmer, warum ist Patchwork oft so schwierig?

Die Herausforderungen, die schon das „normale“ Familienleben mit sich bringt, kommen schneller zum Tragen. Es ist nur das Paar, das freiwillig zusammen ist. Die Kinder haben sich die neue Konstellation nicht ausgesucht und müssen sich damit arrangieren. Alle Beteiligten bringen ihre eigenen Erfahrungen mit und haben mehr oder weniger frische Trennungsnarben. Es treffen eingefahrene Familienkulturen aufeinander, auch verschiedene Werte und Glaubenssätze. Und wenn es dann um das eigene Kind oder die eigenen Kinder geht, ist man weniger kompromissbereit.

Was kann man als Stiefeltern für ein gutes Gelingen tun?

Ich glaube, es ist wichtig, dass die Erwachsenen überprüfen, warum die eigene Haltung einem selbst so wichtig ist. Handle ich aus schlechtem Gewissen oder wirklich aus innerer Überzeugung? Was ist mein eigentlicherBeweggrund? Unddassolltemanehrlich kommunizieren dürfen. Oft brauchen PaareeineModeration,dennwirsindnicht gut darin zuzuhören. Diese Lebensform forderteinhohesMaßanToleranz,Vertrauen, Verantwortungsgefühl, Konfliktfähigkeit, Verstand und den Willen zur persönlichen Entwicklung. Meine Erfahrung zeigt, dass gerade Patchworkfamilien von einem Austausch mit anderen Patchworkfamilien profitieren

Heißt, dass ein Kompromiss gefunden werden sollte?

Nein. Ein Kompromiss ist immer etwas, wo mindestens einer mit den Zähnen knirscht und jeder ein Stück zurückstecken muss. Was ich in meinen Beratungen anstrebe ist, dass jedes Familienmitglied das bekommt, was es braucht. Das heißt nicht, dass man das erfüllt bekommt, worauf man Lust hat. Sondern es geht hier um Bedürfnisse wie Ruhe, Freiraum, Nähe und Anerkennung. Erst wenn ich die einzelnen Bedürfnisse kenne, kann ich eine verbindende Lösung finden. Selbst wenn ich es nicht schaffe, alles unter einen Hut zu bekommen, haben es die Beteiligten einmal gehört. Bereits das macht etwas mit einer Gemeinschaft.

Wie viel Mitspracherecht in der Erziehung sollte der neue Partner bekommen?

Das ist nicht einfach zu beantworten. Auf der einen Seite ist das Gefühl, nicht mehr entscheiden zu dürfen, wie man leben möchte, auf Dauer für uns Menschen nicht auszuhalten. Man fühlt sich wie ein Gast in den eigenen Wänden. Auf der anderen Seite, und das ist uns oft nicht klar, ist Erziehung immer etwas, was verletzt. Ich möchte, dass du dein Verhalten änderst. Kinder lassen sich nur von jemandem erziehen, der sie liebt und den sie zumindest sehr gern haben. Die Beziehung zwischen Stiefeltern und Bonuskindern muss also erst wachsen. Das dauert und braucht Zeit und trotzdem oder gerade deshalb muss das vorrangige Ziel sein, eine neue, ganz eigene Familienkultur in der Patchworkfamilie zu entwickeln, in der jeder seinen Platz findet. Ein wichtiger Punkt: Wer sich verstellt und sich nicht zeigt, bremst sich selbst aus. Wenn wir Dinge tun, die wir nicht wollen, bekommt einer die Quittung dafür. Doch wir haben Angst davor, den anderen zu verletzen. Darüber klar zu sprechen, was in der neuen Welt funktioniert und was nicht, kann für alle eine Erlösung sein. Gemeinsam ins Gespräch zu gehen, hat immer eine verbindende Wirkung.

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