favicon_B

Schöne Bescherung in deiner Bonusfamilie

Patchworkfamilien an Weihnachten

Teil 1    Es ist Weihnachten, mein Terminkalender ist voll und in meiner Patchwork-Elterngruppe wird in dieser kalten Jahreszeit ein Thema bzw. eine Frage heiß diskutiert:

Wie funktioniert Weihnachten bei einer Patchworkfamilie?

und

„Wie feiert ihr Weihnachten?“

Es ist natürlich nicht nur diese eine, einzelne Frage, nein, es sind viele Fragen auf die die Mitglieder einer Patchworkfamilie ganz unterschiedliche Antworten finden.

  • Wer kauft welche Geschenke?
  • Wer bezahlt sie?
  • Wer muss, wann und wohin eingeladen werden?
  • Wer darf, wann und wohin eingeladen werden und auch noch gerne mitfeiern?
  • Welche Bahntickets?
    Sparpreis mit Zugbindung oder Flexpreis, stornierbar aber teurer – schließlich weiß man nie welche Bombe noch bis zu den Feiertagen platzt.
  • usw. usw. …

Und dies ist nur eine kleine Auswahl an Fragen und sie werden auch in „normalen“ Familien gestellt.

Aber eine Frage, die wichtigste Frage überhaupt bei den Patchworkern, stellt sich bei den Normalos niemand:

Wer hat wann die Kinder?

An dieser Frage entzündet sich so mancher Streit und Machtkampf, an dessen Blessuren alle noch bis ins neue Jahr lecken.

Hier zu Lande ist natürlich der 24. Dezember bei Patchworkern hart umkämpft.
Schließlich wünschen sich doch alle „das Fest der Liebe“ auch mit ihren Lieben zu verbringen. Genauer gesagt mit ihren Kindern, denn für wen sonst macht man denn den ganzen Aufriß?
Der 24. Dezember ist für die meisten von uns ein Fest für die Kinder und unsere Belohnung nach all‘ dem Weihnachtsstress sind die strahlenden Augen unserer glücklichen Kinder!

Eine Aufführung – viele Choreografien

Das gilt natürlich auch für mich. Als ich mein erstes selbstgemachtes Kind zur Welt brachte, hörte der Spaß auf. Ich bin eine sehr romantische Seele, habe eine Veranlagung zur Harmoniesucht und bin ziemlich dekorierwütig. Das Weihnachtsfest in meiner Herkunftsfamilie fand ich immer etwas lieblos. Wir hatten wenige wiederkehrende Rituale; wir gingen weder in die Kirche, noch gab es immer das gleiche Festessen und selbst die Bescherung war nach spätestens 15 Minuten vorbei – das war mir schon als Kind zu wenig Lametta.

Für mein Kind wollte ich folglich das schönste Weihnachtsfest aller Zeiten feiern, mit echten Kerzen, mit Rotkohl-Gans-und-Knödeln, Engeln und Sternenstaub.
Also ran ans Werk und Adventskalendersäckchen aus Wollfilz genäht und mit liebevoll, ausgesuchten, vollwertigen, nachhaltigen und zuckerfreien Dingen bestückt. In der Nacht zum 1. Dezember haben dann „die Wichtel“, also ich, meinen vorbereiteten Kalender in unserem Flur aufgehängt und die Fensterbank im Kinderzimmer dekoriert. Dort wuchs von Zauberhand, kaum dass die Kinder schliefen, eine Landschaft aus Tüchern, Steinen, Ostheimer-Tieren und Bäumen. Die Wichtel, also ich, legten 24 Sterne aus und stellten Maria, ihren kleinen Esel und Josef auf den ersten Stern.
Denn natürlich hatte ich auch die passenden sauteuren, hölzernen Krippefiguren besorgt.

Krippe mit Ostheimer Holzfiguren

Krippen Arrangement auf unserer Fensterbank im Kinderzimmer

Morgens wurde eine Kerze am Adventskranz entzündet und meine Beutekinder, mein Sohn, damals noch ein Winzling, und ich ließen die drei dann in singender Weise einen Himmelskörper weiter rücken, bis sie schließlich am Weihnachtstag im Stall ankamen. War von „Ihr Kinderlein kommet…“ der letzte Ton verklungen, durfte jedes Kind aus dem entsprechend mit roten Filzzahlen beschrifteten Adventssäckchen ein Päckchen ziehen, das die Wichtel, also ich, des Nachts hineingesteckt hatten.
Ihr seht, ich wollte wenig bis nichts dem Zufall überlassen und dies war nur ein Teil meiner Festtags-Choreo.

Aber ich bestimmte nicht alleine was auf der Hillmerschen X-MAS-Bühne aufgeführt wurde. Auch mein Mann und seine Exfrau hatten Standards gesetzt, die sich bereits in die noch sehr jungen Hirne meiner Beutekinder gebrannt hatten.
So gab es zum Beispiel den Weihnachtsmann, der mit Rudolf vom Nordpol kam und die Geschenke brachte. Das Christkind kam hier im Norden nur in Ausnahmefällen zu den Deich-Kindern, z.B. wenn sich das Kostüm nicht auffinden ließ oder sich niemand im Bekanntenkreis fand, der sich zu passender Uhrzeit zum Affen machte.
Ich fragte mich damals ernsthaft, ob sich dieser amerikanische Kindertraum als Stolperstein in der späteren Waldorfkarriere meines Sohnes erweisen würde. Süß, oder?
Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht einmal im Ansatz, wieviel flexibler ich noch werden musste, damit meine Patchworkfamilie gelingen konnte.

Nikolaus oder Weihnachtsmann?

Auch kam der Hamburger Nikolaus nicht am Abend des 6. Dezember polternd und mit einem großen Sack voller Süßkram und Geschenken in die Wohnstuben, sondern die Kinder stellten ihre geputzten Schuhe vor die Tür und am nächsten Tag passten die Füße nicht mehr in die Stiefel, weil Nüsse ihr Inneres füllten. Daneben stand ein Teller mit Naschwerk, Mandarinen und ein kleines Geschenk.
Dementsprechend ist der Weihnachtsmann in den Köpfen der nordischen Deichkinder sehr viel präsenter als der Nikolaus, schließlich ist ER der kostümierte Geschenkebringer.

Culture Clash –
Weihnachtsgans oder Kartoffelsalat mit Würstchen

An Weihnachten prallen auch bei den Normalos Familientraditionen aufeinander. Spätestens bei der Festlegung des Festtagschmauses, denn alle Familien entwickeln eine eigene Familienkultur und wir bringen aus unseren Herkunftsfamilien natürlich noch sehr viel mehr mit als nur den Menüplan fürs Fest.
Beide Elternteile haben Erfahrungen, Überzeugungen, Werte, Gewohnheiten, Vorstellungen und noch einiges mehr aus ihrem Leben vor der Patchworkfamiliengründung im Gepäck.
Auch die „Vorstellung“, wie man einen anderen Menschen liebt und so behandelt, dass er sich geliebt fühlt – oder eben auch nicht, – befindet sich in diesem, eher emotional bestückten, Rucksack.
Mit diesem Proviant gehen wir dann auf eine gemeinsame Reise.

Ziel:  Heile Familie.
Oder, wie in diesen Tagen:  Holy Family!

Gerade an Weihnachten ist die Sehnsucht nach einer harmonischen und heilen Familien-Zusammenkunft groß.
Ich höre dann oft Sätze die mit: „Wenigstens an Weihnachten…“ beginnen.
Nun wissen wir als Leser eines Patchworkblogs mit großer Wahrscheinlichkeit aus eigener Erfahrung, dass zumindest der erste Versuch einer Familiengründung durchaus schiefgehen kann. Aber auch aus diesem nehmen wir und unser daraus entstandener Nachwuchs eine eigene Familiengeschichte und -kultur mit.


„Niemand von uns lebt in der perfekten Familie,
der perfekten Umgebung oder der perfekten Gesellschaft.“

Jesper Juul


Diese beiden alten Familienkulturen prallen schon unterm Jahr in einer Patchworkfamilie immer wieder aufeinander.
Vielleicht gab es im „Papa“-Teil zu fast jedem Essen ganz selbstverständlich Ketchup während im „Mama“-Teil Ketchup nur zu Pommes gehörte.
Papas Kinder stellen sich alle den Wecker, stehen selbständig auf, schmieren sich ihr Frühstücksbrot und fahren dann alleine mit dem Fahrrad oder Bus zur Schule und dass schon seit der Grundschule. Während Mama vielleicht ihre Teenie-Kinder immer noch weckt, Obst ins Müsli schnippelt und sie eben mit dem Auto rumfährt.
Die einen lassen den Klodeckel oben, die anderen klappen ihn runter und so weiter und so fort.
Die Unterschiedlichkeits-Auflistungen der Patchworker sind meist unendlich lang und nebenbei bemerkt, für diese selbstverständlichen und unausgesprochenen Unterschiedlichkeiten braucht man noch nicht einmal Kinder.
Vieles ist offensichtlich anders und noch mehr ist spürbar anders und eben nicht offen und sichtbar.

Katharina Grünewald, Dipl. Psychologin und Autorin des Buches „Glückliche Stiefmutter“, nennt diese unsichtbaren und organisch gewachsenen Verhaltensweisen und Gewohnheiten in Familien „Selbstverständlichkeiten.“
Diese Selbstverständlichkeiten sorgen in Patchworkfamilien oft dafür, dass gerade Bonusmütter und -väter sich nicht zugehörig fühlen.
Kommen die Beutekinder zum Beispiel zum Papa-Wochenende zu ihrem Vater, fühlt sich die neue Partnerin oft fehl am Platz und nicht zugehörig.
Schaut man sich das ganze auf dem Familienbrett an, wird dieses Gefühl sichtbar (siehe Titelbild).
Papa und seine Brut haben eine starke Verbindung, auf dem Bild durch die ähnliche Farbe der Weihnachtsmänner und -(Ex)Frauen der „Papa-Familienmitglieder“ symbolisiert.

Alle „Papa-Familienmitglieder“ fühlen sich an so einem Wochenende in ihrer Familienkultur und Selbstverständlichkeiten verbunden und sehr wahrscheinlich werden diese auch zelebriert.
Dann lümmeln alle auf dem Sofa, schauen einen Film, stecken die Köpfe zusammen und die Partnerin sucht nach einer Sitzgelegenheit, die sich nicht abseitig anfühlt. Dazwischen drängeln und mit gucken fühlt sich auch nicht richtig an. Aber was dann?
Es ist auf jeden Fall keine leichte Position.
Viele Beutemütter und Beuteväter kommen sich in solchen Situationen überflüssig vor.
Zu Beginn geben sich gerade Bonusmütter unglaubliche Mühe und versuchen den Kinder ein „neues Heim“ zu schaffen. Viele rutschen dann fast automatisch in eine versorgende und mütterliche Rolle.
Sie liefern Mann und Brut die gesunden Snacks zum Film, suchen mit nach passenden Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken und kennen bald die Kleidergrößen ihrer Beutekinder besser als ihr Vater.

Auch ich bin damals in diese „Mütter-Rollen-Falle“ getappt. Zum einen weil mir die Kinder leid taten, sie waren ja noch so klein und mussten schon die Trennung ihrer Eltern verarbeiten und zum andern, weil ich meinen Mann liebte. Ich wollte ihn unterstützen und ich wollte seine Anerkennung!
Der Haken an der Sache war, dass ich diesen Deal ohne ihn gemacht hatte. Ich tat nämlich nicht alles aus bedingungsloser Liebe heraus – auch nicht zum Fest der Liebe.
Wie gesagt ich wollte seine Anerkennung. Spätestens da hätte ich stutzig werden sollen. Denn etwas vereinfacht formuliert hieß das, ich wollte von ihm dafür geliebt werden, dass ich seine Kinder liebevoll behandelte!
Er wußte davon nichts und er war auch nicht bereit, an den von mir vorgesehenen Stellen dafür zu applaudieren.
Und so fühlte ich mich bald als Dienstbotin, die zwar die Arbeit macht aber beim vergnüglichen Teil außen vor war.

Putzfrau mit Familienanschluss und Wichteldiplom

Wir feierten damals noch alle zusammen Weihnachten – also mein Mann, seine Ex-Frau, die Kinder der Beiden und ich mit frisch, geschlüpftem Baby.
Das war übrigens meine Idee.
Ich glaube ich habe bereits erwähnt, dass ich damals eine überaus harmoniesüchtige und romantische Seele war.
Ich dachte der Kinder zu liebe bekommen wir das hin – wir sind ja schließlich erwachsen!

Die ersten Zweifel kamen auf, als mein Mann, seine Ex und meine Beutekinder unterm Baum spielten und ich mit Baby im Tragetuch in der Küche am Herd stand.
Ich fühlte mich schrecklich – und genau deshalb noch schrecklicher.
Ich dachte: „Man, reiß Dich mal zusammen! Guck doch mal, wie glücklich die beiden Kleinen sind, wie ihre Augen leuchten!“
Ja, ihre Augen strahlten und wie! Aber sie strahlten nicht mich an – auch nicht für die von mir ausgesuchten Geschenke, denn die kamen ja vom Weihnachtsmann.…

Wie es weiterging Lest ihr im nächsten Teil.

Share