Teil 5 Und nu?
Ich lernte Stück für Stück auf meine Gefühle zu achten, meine Reaktionen zu verstehen und zu sortieren. Nicht erst zu explodieren – und auch nicht zu implodieren – wenn ich schon lange über meine Grenzen hinaus war und die Zündschnur entsprechend kurz. Ich achtete darauf, wann ich Dinge tat, die ich nicht tun wollte, stellte sie neu zur Verhandlung und gab Verantwortungsbereiche wieder ab. Übrig blieb für mich das Kochen. Das erledigte ich zu fast 99% als die Beutekinder noch klein waren. Wir ließen uns einmal in der Woche eine Bio-Gemüsekiste liefern und ansonsten ging im Wesentlichen mein Mann einkaufen. Auch das Abräumen und das Befüllen der Spülmaschine war hauptsächlich sein Job, den er mit Hilfe der Kinder erledigte.
Wenn ich in der Küche nach dem Kochen doch mal an der Spüle stand und fettige Pfannen ins heiße Wasser tauchte, während sich der Rest der Familie verzog, ließ der alte Groll nicht lange auf sich warten. Wie ein alter Kampfhund fletschte er sabbernd die Zähne.
Dann ließ ich die Pfanne sinken und machte vier Schritte nach rechts vor unsere Espressomaschine. Dort bereitete ich mir dann einen koffeinreichen, italienischen Zwerg zu und ging mit ihm in der Hand auf die Terrasse. Zehn tiefe Atemzüge und ein paar Schlucke später hatte sich die alte Töle beruhigt und zog sich in ihre Hundehütte zurück. Danach konnte ich die anderen bitten, sich um die restlichen Arbeiten zu kümmern. Selbst wenn niemand sofort aufsprang oder mir erst einmal ein Murren entgegenschlug, konnte ich nun ohne Unmut darauf verweisen, dass ich bereits gekocht hatte und nun jemand anderes für den Rest zuständig sei und ging wieder an meinen Schreibtisch. Auf was ich nicht hoffen durfte war, dass die Küche nach meinen Wünschen und meinem Zeitplan und zu meiner absoluten Zufriedenheit gesäubert wurde. Sich daran zu gewöhnen war, zugegebenermaßen, nicht einfach! Hier musste ich mich zwischen fettfreien Fließen hinterm Herd und guter Stimmung entscheiden. Denn wenn ich es übertrieb und die Küche nach der Säuberungsaktion inspizierte, anfing hier und da zu kritisieren, reagierte jedes meiner Mannschaftsmitglieder verstimmt! Wir hatten ohne Zweifel ein sehr unterschiedlich ausgeprägtes Sauberkeitsempfinden.
Wenn man Verantwortungsbereiche abgibt, entscheidet derjenige, der die Verantwortung für den Bereich übernimmt, wie er ihn gestaltet. Einen kontrollierenden Chef kann es dann nicht geben. Gut, man kann sich auf Augenhöhe über seine unterschiedlichen Vorstellungen austauschen, aber es bleibt jedem überlassen, inwieweit er die Sichtweise des anderen übernimmt oder bei der eigenen bleibt. Gleichwürdige Beziehungen lassen unterschiedliche Standpunkte zu und würdigen sie!
Als in unsere Küche die „Gleichwürdigkeit“ einen festen Platz am Tisch bekam, veränderte sich die Stimmung. Die Kinder kamen manchmal schon vor dem Essen. Ganz freiwillig! Einfach nur um bei der Zubereitung dabei zu sein und zu hören, was die anderen den Tag über erlebt hatten.
„Es ist die Aufgabe der Eltern, die Stimmung beim Familientisch so zu gestalten, dass Kinder von sich aus dabei sein wollen!“
Jesper Juul in „Essen kommen“
Die zu erledigenden Arbeiten traten immer mehr in den Hintergrund. Es war einfach nett zusammen zu sein, es wurde schon mal genascht und nebenbei der Tisch gedeckt und alle konnten das Essen immer mehr genießen. Vor allem, weil wir Großen immer mehr begriffen, dass die Mahl-Zeiten unbedingt auch erziehungsfreie-Zeiten sein sollten! Über die Jahre hat sich unser Kochplan immer wieder verändert. Je älter die Kinder wurden, umso mehr Aufgaben haben sie übernommen: Zuerst den Gang zum Bäcker, dann die Schnippelei fürs Risotto, dann den Einkauf der vergessenen Dinge im Supermarkt…
Heute sind unsere Kinder 20, 18, 14 und 4 Jahren alt. Bis auf den Kleinsten – und auch wegen ihm – sind sie mittlerweile auf unterschiedliche Art eingebunden.
Was das Kochen angeht, übernimmt unser Größter einmal die Woche den Herd und auch mein Mann kocht wieder – dafür kann ich an diesen Tagen länger arbeiten. Das weiß ich sehr zu schätzen! Die Regel, dass der der kocht nicht spült und die Küche aufräumen muss, ist bis heute geblieben.
„Eine gute Mahlzeit ist für mich eine ausgewogene Mischung aus guten Speisen, Sorgfalt, Engagement, engen Bindungen, Ästhetik, einem Erlebnis der Sinne und aus unvorhersehbaren Gefühlen und Stimmungen.“
Jesper Juul in „Essen kommen“