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Gut getrennt? Halb gewonnen!

Paar zieht die Eheringe aus

Eine der häufigsten Fragen, die sich Patchworker*Innen stellen, ist:
„Wie gelingen Bonusfamilien?“
Ich habe hier in meinem Blog versucht, die eine oder andere Antwort zu liefern. Heute versuche ich es mit einer RolleRückwärts…

Die Vergangenheit ist der Prolog

Ob die Geschichte einer Patchworkfamilie ein Happy End hat, ist leider nicht unerheblich von der Vorgeschichte aller Beteiligten abhängig.
Warum leider?
Weil viele es sooo leid sind, nach Trennung, Scheidung und vielem mehr, zurück zu blicken.
Wenn man der Teil des Patchworkpaares ist, der in diesem Theater vielleicht noch gar keine Rolle spielte, fühlt man sich unbeteiligt.
Aber meist nicht lange.
Dann erfährt man Stück für Stück von der Rolle, die das neue Herzblatt darin gespielt hat, und taucht, über dessen Erzählungen, in die ganze Handlung der alten Familienchronik ein.

Verschiedene Familienformen bringen verschiedene Schwierigkeiten mit

Wenn sich eine einfache Stief-Familie** gründet, dann bringt nur einer der Partner*Innen Kinder mit in die neue Beziehung. Es gibt nur eine Expartner*In, die, zumindest über die Kinder, Einfluss auf die Lebenswirklichkeit des neuen Paares nimmt.
Hatten beide zuvor bereits eine KernFamilie* gegründet, bringen sie auch beide Erfahrungen aus dem zurückliegenden Trennungsprozess mit und wissen um den vielfältigen Regelungsbedarf und die dazu gehörigen Konflikte.
Dieses Bewusstsein macht es manchmal etwas einfacher, dem Zwist des anderen mit mehr Verständnis zu begegnen – manchmal.
Denn im Alltag des Patchworkpaares spielen nicht nur fast alle Regelungen und Entscheidungen aus der vorigen Kernfamilie eine Rolle – z.B. wer, wann, wie und wo die Kinder betreut. Großen Raum nehmen eben auch die ungelösten Konflikte des nun getrennten Elternpaares ein und diese haben Auswirkungen auf die Folgefamilie(n) – so heißen Patchworker und Bonusfamilien im „Psycho-Jargon“.

 


„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“

Richard von Weizsäcker


 

Das Patchworkfamilien-Fundament, wird also zu einem beträchtlichen Teil in der Vergangenheit gegossen. Ist es nicht stabil, wackelt auch das nachfolgende Bauvorhaben.

Der harte Kern der Folgefamilie

Wieviele schwelenden Konflikte aus den zurückgelassenen Kernfamilien* haben die Baumeisterin und der Baumeister des Patchwork-Neubaus noch in ihrem Gepäck?
Haben beide die Herausforderung bereits gemeistert und sich von ihrer alten Familie-Form gut verabschiedet und ihr, in neuer Gestalt, einen Platz in ihrem jetzigen Leben eingeräumt?
Oder kämpft ein (ehemaliges) Mitglied dieser Kernfamilie um diesen Platz und drängen sich ungelöste Konflikte immer wieder in den Alltag des neuen Patchworkpaares?
Dann wird es Zeit noch einmal genau hin- und zurück zuschauen, was es für eine „gute“ Trennung noch an Verarbeitung und Sortierung braucht.

Gute Fragen

„Welche „Arbeit“ muss ich mit meinem ehemaligen Partner*In noch leisten, um auch in Zukunft gute Eltern sein zu können?“
„Darf zwischen uns alles ausgesprochen werden oder gibt es Tabus, die uns im Wege stehen?“
„Was müssen wir noch be- bzw. verarbeiten?“

Gibt es Raum für 

  • Sorgen und Kritik
  • Verlustängste, die die Kinder betreffen
  • Existenzängste
  • Werte und Vorstellungen über Erziehung, Ernährung, Schulbildung, Gesundheitsfragen…

… und viele Herzensthemen und konflikthaftes mehr, das Eltern auch nach ihrer Trennung (immer wieder) besprechen sollten.
Oder wird, z. B. aus Angst vor der Auseinandersetzung, lieber geschwiegen, manipuliert, taktiert und unter die Teppiche gekehrt, bis sich unter diesen mehrere Mittelgebirgsketten abbilden?

Wenn Trennungen zum Problem werden

Viele von uns haben noch nicht verstanden, dass den anderen zu verstehen, nicht heißt, dass man mit dem was sie oder er sagt, einverstanden sein muss (diesen Satz kann man ruhig zweimal lesen! (Anm. d. Verf.))
Es soll uns helfen, in die Welt des Gegenübers einzutauchen, sich mit Gefühlen und Sichtweisen des anderen auseinanderzusetzen, um dann miteinander Lösungen zu finden.

Gerade in der Zeit der Trennung und der Phase danach, in der alles neu sortiert werden muss, entscheidet die Kommunikation, Konflikt- und Empathiefähigkeit zwischen den jeweiligen ExPartner*innen, wie es ihnen und ihren Kindern geht. Und auch, wie es den Mitgliedern ihrer Folgefamilie(n) geht.

Wenn die früheren Partner*Innen ihre Probleme auch nach der Trennung nicht zu lösen vermögen, kommt es zu dauerhaften Konflikten. Darunter leiden alle und besonders die Kinder – sie geraten oft regelrecht zwischen die Fronten.

 


„Zum Frieden braucht es zwei, zum Krieg reicht einer.“

Mathias Voelchert
(Autor, des gleichnamigen  Buches)



Kinder können aushalten, sie sind loyal und sie lieben beide Elternteile gleich. 
Kinder versuchen auf ihre Weise zu reparieren, was kaputt ist. Sie halten oft Bedingungen aus, die Erwachsene nicht aushalten würden.

Geht es bei Trennungen hochstrittig zu, gibt es einen Punkt, wo Kinder aus dem Blick der Eltern rücken und zum Teil sogar als „Waffe“ im Trennungskrieg eingesetzt werden (in meinem Blogbeitrag  Kinder aus dem Blick findest Du Informationen zu einem hilfreichen Programm für sogenannte hochstrittige Elternpaare).

Thomas Hess und Claudia Starke schreiben in ihrem Buch “Patchwork Familien – Beratung und Therapie”:
“In solchen Situationen ist es eine therapeutische Pflicht, die psychischen Folgen für die Kinder zu nennen.”

Bekämpfen sich getrennt lebenden Eltern nach mehr als zwei Jahren immer noch, ist die seelische Gesundheit der Kinder gefährdet.
Meist schaffen die Kinder zwar, die zwei Eltern-Welten zu trennen und die Konflikte zwischen den Eltern nicht anzuheizen, aber sie leiden, weil sie nie ganz offen bei einem Elternteil über die jeweils andere Welt reden können.”

 

Zum Wohle unserer Kinder…

In meiner Praxis erlebe ich solche Fälle. Kinder, die sich nicht mehr trauen auszusprechen, was sie wirklich denken und wollen. Deren Blicke immer überprüfen, ob, das was sie sagen, Auswirkungen auf ihre Geschwister hat oder einen Elternteil verletzt. Sie übernehmen die Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Eltern – eigentlich sollte es umgekehrt sein.
Diese Verantwortung wiegt schwer.
Sie ist schon bei „normalen“ Unstimmigkeiten über Betreuungsmodelle und Erziehungsansichten eine Last auf den Schultern der Kinder. 

Streiten die Eltern unentwegt ziehen sich gerade die jüngeren förmlich in sich zurück und ich möchte explizit noch erwähnen, dass es für einen solchen „Krieg“ nicht laut zugehen muss.
Kinder werden in strittigen und langen Trennungsprozessen sprachlos, wenn es um ihre familiäre Situation und ihre Bedürfnisse geht. Auch wenn sie sich ansonsten vielleicht sehr laut verhalten.
Dann dauert es oft lange, bis sie Vertrauen in den Beratungsprozess gewinnen – denn vorrangig müssen sie ihren Eltern vertrauen können, um sich wieder ganz zu öffnen.

Manchmal ist es dann auch für Fachleute schwierig, den Menschen hinter der Elternrolle in seine Not zu sehen und seinem Handeln Verständnis entgegen zu bringen.
Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort, ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, unter anderem in der Praxis Paidon und  Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Eppendorf, in Hamburg. Er sagt im Elterngespräch-Podcast „Depressionen bei Kinder“ zum Thema Elternstreit:
„Das ist der einzige Fall in meinem Fach, wo ich mit Eltern moralisierend werde und wo ich auch sehr grantig werde und Eltern sage, sie haben die Verantwortung und die Pflicht für mehr Frieden zu sorgen.“

… zum Wohle aller!

Viele Eltern raufen sich, Gottseidank, zusammen, wenn sie die Not ihrer Kinder sehen (lernen), ihr Zutun erkennen und spüren, dass es dem Wohl ihrer Kinder dient, sich auf Beratungen und einen Klärungsprozess einzulassen.
Für viele ist im therapeutischen Prozess wichtig, dass nicht die ganze Beziehungsgeschichte aufgerollt werden muss. Es gilt “nur” das zu klären, was heute noch schmerzt.

 


„Willst du Recht haben oder glücklich sein?
Beides geht nicht.“

Marshall B. Rosenberg


 

Im besten Falle, dürfen die Kinder im Anschluss in der Welt ihrer Mutter und ihres Vaters ankommen und ihren Platz finden. Vereinfacht gesagt: „Ihr” Leben leben. Und ihre Eltern haben eine gute Kommunikationsweise gefunden, um alles Notwendige zu klären und den ehemaligen Partner in seiner Elternrolle zu respektieren.

Des Pudels Kern

Das System der alten (Kern)Familie bleibt also in der Patchworkfamilie wirksam – im Guten wie im Schlechten, da beißt die Maus keinen Faden ab!
Unsere PartnerInnen und auch wir selbst – je nachdem ob einfache oder komplexe** Bonusfamilie – bleiben für immer die Eltern unserer Kinder und unsere ehemalige PartnerInnen bleiben als elterliches Gegenstück in unserem Leben – ob das nun gut oder schlecht ist, entscheidet unser Umgang miteinander.

Um einen guten Umgang miteinander zu finden, ist es eine gute Idee sich Hilfe zu holen!

 

* Kernfamilie = „Psycho-Jargon“ für normale Familie – aber was ist schon normal?
Gemeint ist die Familie, die wir als erste gründen gründen, also nachdem wir das Nest unserer Herkunftsfamilie verlassen haben, eine Partner*In finden und Kinder bekommen.

**Patchworkfamilien werden wie folgt benannt:

  1. Einfache Stieffamilien =
    a. Stiefmutterfamilien
    biologisches Elternschaftsverhältnis nur zwischen Kind/Kindern und männlichem Elternteil
    oder
    b. Stiefvaterfamilien
    biologisches Elternschaftsverhältnis besteht nur zwischen Kind/Kindern und weiblichen Elternteil
  2. Zusammengesetzte Stieffamilien = beide Erwachsenen bringen Kind/er aus früheren Beziehungen mit, die im gemeinsamen Haushalt leben, haben jedoch keine gemeinsamen Kind/er
  3. Komplexe Stieffamilien = Patchworkfamilien
    Familien, in denen sowohl gemeinsame Kind/er als auch Kinder aus früheren Partnerschaften im Haushalt leben

 

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