Teil 3 Unser Gespräch mit allen Patchworkfamilienmitgliedern hat vor allen Dingen eines bewirkt: Mehr Offenheit! Eine ganz neue und sehr offene Ehrlichkeit hatte hier ihre Geburtsstunde.
Nachdem ich Smilla* gebeichtet hatte – genauso fühlte es sich an – dass ich den Freitag alleine mit „meiner (Kern)-Familie“ brauche, um samstags wieder für meine große Patchwork-Familie da sein zu können, meldete sich Bernd* zu Wort: „Ich finde das ganz schön mutig von Dir, das so auszusprechen! Ich denke das sollten wir alle respektieren und nach einer Lösung suchen!“ Die fanden wir dann in den folgenden Tagen.
Viel wichtiger als diese Lösung aber war, dass wir ab diesem Zeitpunkt begannen, darüber zu sprechen, was uns schwer fiel, auf was wir verzichteten, wo wir das Gefühl hatten auszugleichen oder, noch schlimmer, aushalten zu müssen! Ich erfuhr, dass Bernd seit Jahren seine Fernreisen vermisste, die nun mit drei Kindern finanziell nicht mehr drin waren oder dass Smilla es hasste, wenn sie Botschaften von Mama und Papa an den jeweils anderen überbringen musste. Sie hatte eine regelrechte Nachrichtenempfänger-Gesichtsausdrucks-Phobie entwickelt.
Wir könnten über unsere unterschiedlichen Beziehungen und Verbindungen sprechen und, vor allen Dingen, über die bisher nie besprochenen Stimmungen und Spannungen, die oft zwischen uns lagen. Es war verrückt zu hören, dass sie jeder so deutlich spürte und so unglaublich ähnlich wahrnahm! Alle konnten sie benennen und doch hatte jeder unterschiedliche Phantasien dazu und ging anders mit ihnen um.
Heute bin ich davon überzeugt, dass diese Form der Begegnung in Beziehungen alles verändern kann! Wenn wir bereit sind, ohne Netz und doppelten Boden, ohne Vorkehrungen zu treffen uns zu zeigen, dann hört uns unser Gegenüber anders zu! Es ist ein bisschen so, als würde man das Gefühl, das hinter den Worten steht, mithören und verstehen können – als höre man die ganze Botschaft! Dadurch kann man den anderen in seiner Welt wirklich sehen und verstehen. In solchen Momenten wird es still und die Zeit bleibt stehen und jeder der Beteiligten spürt die Wahrhaftigkeit.
In meiner Ausbildung am ddif als Familientherapeutin haben ich gelernt den Raum für diese Begegnungsmomente in Beziehungen zu schaffen und trotzdem erlebe ich sie immer noch als magisch, wenn ich heute mit Familien sitze. Bis zu diesen magischen Momenten ist es allerdings kein leichter Weg! Auch mir war gleichzeitig heiß und kalt und mein Deo hatte seinen Dienst quittiert. Das ist wohl auch der Grund, warum wir versuchen alles Mögliche vorab zu regeln und zu tun um uns abzusichern!
„Nur wer „Nein“ sagen darf,
kann auch wieder von Herzen „Ja“ sagen!“
Helle Jensen
Wir jonglierten also unsere Wochentage, Planungen und Fahrdienste so lange, bis ich meinen Freitag wieder für mich hatte und Jakob trotzdem am Donnerstagabend in sein geliebtes Fussballtraining gehen konnte. Ich fühlte mich gehört und konnte in den folgenden Wochen durchatmen. Doch innerlich bahnte sich die nächste Wandlung an.
Nach ein, zwei Monaten hatte Luca an einem „Mama-Wochenende“ eine Partyeinladung bei uns in der Nähe. Er erzählte mir beim Mittagessen, dass er dann bei einem Klassenkamerad schlafen würde. Ich fragte ihn, ob er das gerne so machen möchte oder ob er das so plane, um mich nicht zu stören. Zweiteres war der Fall! Ich fühlte mich erst einmal schuldig, darüber hinaus passierte aber auch in diesem Moment etwas anderes als zuvor. Luca sprach mit mir und nicht mit seinem Vater! Ich konnte direkt spüren, welchen Preis es mich kostete, wenn ich auf mein Wochenende bestand – und er war mir zu hoch! Ich wollte nicht, dass er bei einem seiner Freunde schlief, wenn er lieber bei uns in seinem Bett liegen wollte.
Das die Großen, und sogar Marie* immer öfter, ihre Planungen mit mir direkt absprachen war für uns alle eine Erleichterung. Endlich hörte das komplizierte „über Eck spielen“ auf und es sprachen diejenigen miteinander, die es unmittelbar betraf. Auch das sorgte dafür, dass ich immer weniger Regeln und feste Vereinbarungen brauchte, um mich bei mir im eigenen Haus zu Hause zu fühlen – und das nicht nur freitags! Kein halbes Jahr später, war ich diejenige, die den Kindern verkündete, dass es für mich nun in Ordnung sei, wenn sie selbst entscheiden, wann sie bei uns oder bei Marie und Bernd sind. Und so ist es bis heute!
Wir leben nun miteinander und das mit ganz wenigen Regeln – quasi im Vollkontakt!
*Ich habe in diesem Artikel die von der Redaktion geänderten Namen weiter genutzt, da dies (hoffentlich) für weniger Durcheinander sorgt.