Es gibt zentrale Fehler, die fast jede Patchworkfamilie macht. Schließlich gibt es für das Leben in einer Bonusfamilie, genauso wenig wie für das Leben im Allgemeinen, eine Anleitung.
Von diesen Fehlern zu wissen, schützt entsprechend nicht immer davor, sie zu vermeiden, aber vielleicht hat man dadurch die Chance sie schneller zu erkennen. Deshalb stelle ich heute mal meine Top-Ten der Patchwork-Fallen und Fehler vor und starte gleich mit der Nummer eins, dem übergeordneten Kardinal-Fehler in dieser Familien-Kategorie.
Die TOP TEN –
der Fehler und Fallen in Patchwork- und Bonusfamilien
1. Kernfamilie spielen
Jedes Familienmitglied bringt Gewohnheiten, Regeln etc. mit in die neue Patchworkfamilie und viele dieser zutiefst menschlichen Eigenarten und Charakterzüge lernen wir erst Stück für Stück in unserem Miteinander als Patchworkfamilie kennen.
Also mal eben schnell eine neue Folgefamilie gründen, zusammenziehen, sich die Betreuung und Versorgung der Brut aufteilen und gemeinsam am Wochenende harmonisch durch den Zoo wandeln ignoriert, dass wir alle eine Vergangenheit haben und funktioniert bestenfalls am Anfang – dann holt diese Vergangenheit mindestens einzelne Familienmitglieder ein.
Das Kennenlernen braucht Zeit und viele von uns wollen an „Altem“ und „Gewohntem“ auch erst einmal festhalten und können sich nur langsam auf „Neues“ einstellen.
Altes und Neues muss behutsam verbunden werden – eben Patchwork.
Bis aus einem Flickwerk ein Kunstwerk werden kann, braucht es Zeit – bis zu 7 Jahren sagen Experten.
„Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern.“
Konfuzius
2. Alles gemeinsam Tun zu wollen
Alle Mahlzeiten miteinander einnehmen, Wochenend-Aktivitäten, Feste gemeinsam feiern und in Urlaub fahren – das überfordert alle! Ehemals kinderlose, sind von wuseligen Tischzusammenkünften, bei denen regelmäßig etwas umfällt und die Scheibe Käse mit den Fingern angepackt wird, schnell genervt und der Nachwuchs möchte Papa oder Mama auch mal exklusiv für sich. Es braucht also eine gute Zeitplanung, um sowohl Exklusivzeit für Kinder, das Paar und auch für Elterngespräche zu realisieren.
3. Zu wenig Beziehungszeit für das Paar
Die Liebenden sollten sich gut kennenlernen, um den Herausforderungen gewachsen zu sein und um ein stabiles Fundament für ihre Beziehung zu schaffen. Die neue Liebe braucht dafür exklusive Paar-Zeit und sie darf auch gefeiert werden!
Schließlich ist sie der Grund, warum es diese neue Familienzusammenkunft überhaupt gibt!
Also ab in ein Wellnesswochenende oder sucht euch ein gemeinsames Hobby oder reserviert euch einen festen Zeit-Slot in eurem Kalender.
4. Die vorangegangene Trennung ignorieren
Eine Familie ist zerbrochen und dies will betrauert werden und dieser Trauerprozess braucht Zeit. Trauer wird von den einzelnen Familienmitgliedern ganz unterschiedlich gefühlt und verarbeitet.
Hier ist es absolut sinnvoll und sich Hilfe zu holen. Es gibt z.B. Programme, die die ganze Kernfamilie bzgl. der Trennung in den Blick nehmen. Natürlich helfen hier auch offene Ohren und gute Gespräche – ob nun im Kreis der eigenen Lieben oder mit professionellen Berater*Innen und Therapeut*Innen.
5. Das eigenes Leben aufgeben
Oft opfern wir einen Teil unseres bisherigen Lebens für das Gelingen des neuen Patchworkalltags, z.B. in Form unserer bisherigen Termine und Rituale. Wir geben dann die Lieblings-Yogastunde am Dienstag auf, weil da der Liebste kinderfrei hat oder warten am Wochenende darauf, ob die Kinder unserer Liebsten eventuell rechtzeitig schlafen und wir heimlich bei ihr noch auf ein Schäferstündchen vorbei kommen können, statt uns mit unseren Freunden und Freundinnen zu treffen.
Wer zurücksteckt und nicht genügend Selbstfürsorge betreibt, macht früher oder später eine Art innere Rechnung auf und präsentiert diese dann anderen Patchworkfamilienmitgliedern.
WAS HAT MIR VORHER FREUDE BEREITET, WAS HAT MICH ERFÜLLT UND MIR ENERGIE GESCHENKT?
Diese Aktivitäten brauchen weiterhin Platz und Freundschaften dürfen und sollen weiterhin gepflegt werden – trotz des oft schwer zu organisierenden Patchwork-Alltags.
6. Lebenswünsche ignorieren
Wo wollen wir leben, unser Job, unser Freundkreis, die Herkunfts-Familie, Lebensplanung und Kinderwunsch…
Manche Wünsche sind existenziell, wie z.B. ein Kinderwunsch und können nicht ignoriert werden. Sie fordern einen bewussten Umgang.
Auch wenn eine Partner*In ihren Wohnort für die neue Familie wechselt und damit z.B. den Kreis der Liebsten nicht mehr in gewohnter Weise treffen und erleben kann, ist dies oft sehr schmerzlich.
WAS KANN MAN TUN?
Sich Bewusst werden, Klarheit erlangen – unbedingt auch miteinander. Hier braucht es einen offenen Austausch zu diesen Wünschen, Lebensentwürfen, Werten und Verlusten. Manchmal folgt nach diesen Auseinandersetzungen auch eine Trennung, weil existenzielle Wünsche nicht mit den jeweiligen Erfahrungen und Lebensentwürfen der Partner*In vereinbar sind oder verhandelt werden können.
7. Schlecht über den oder die Ex-Partner*In reden
oder auch nicht mehr mit der Ex-Partner*In reden
Dies verletzt mindestens die Kinder! Sie fangen dann unter anderem an, Dinge aus ihrer Lebenswelt beim anderen Elternteil zu verschweigen, um uns nicht aufzuregen und um sich und diesen Elternteil zu schützen.
Wenn uns das Verhalten eines anderen soo sehr aufregt, hat das in der Regel etwas mit uns zu tun. Holt euch professionelle Hilfe!
„Was Sie von mir denken, geht mich nichts an.”
Terry Cole-Whittaker
8. Die erbeuteten Bonuskinder erziehen
Wer darf erziehen und wer „lässt“ sich überhaupt von wem und bei was erziehen?
Jesper Juul sagte einmal: „Erziehung ist immer demütigend. Wir lassen sie nur zu, wenn wir uns geliebt, wertgeschätzt und anerkannt fühlen.“
Das „erziehende“ Maßnahmen sich nicht gleichwürdig anfühlen und wir uns dabei unwohl, dumm und irgendwie als „falsch geraten“ vorkommen, kennen wir aus den „Zahnpastatuben-, Socken-, Autofahr-, Einpark- und Spüllappen-Beispielen“ unserer Partnerschaft.
Die Lösung ist: Einen aufrichtigen Dialog wagen und in Beziehung gehen. Nichts leichter als das, oder?
Vielleicht hilft folgende Sortierung bei allen Themen, die unser Zusammenleben betreffen:
Erst der Mensch, dann die Sache, dann das System!
Diese Reihenfolge ist hilfreich, um sich bewusst zu werden, was ist wirklich zu regeln und wann möchte ich das Verhalten eines Familienmitglieds ändern, wann vielleicht gleich die Person an sich 🙈 und wann meine persönliche Grenze schützen.
9. In die verschiedenen Rollenfallen tappen
Hier gibt es gleich mehrere Fallen, die das Patchwork-Leben für unerfahrene Neulinge bereithält.
Zum Beispiel:
DIE ROMANTIKERFALLE
Nach dem Motto „Meine Neue ist so toll, meine Kinder müssen sie und ihre Ansichten unbedingt kennenlernen.“
Wenn wir von unserem neuen Schatz nur so in den höchsten Tönen schwärmen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass sich der Rest der ursprünglichen Kern-Familie nach dem eigenen Wert in unserem Leben befragt oder es die Kinder in einen Loyalitätkonflikt mit dem verlassenen Elternteil treibt. Natürlich ist es schön für uns, dass wir unsere(n) Liebste(n) toll finden – wäre ja auch komisch, wenn nicht!
Aber ob alle meine Empfindungen teilen, bleibt abzuwarten, bis alle Zeit hatten, sich kennenzulernen und „aufeinander zu beziehen“.
MUTTER- VERSUS VATER- VERSUS VERSORGERFALLE
Die (Groß-) Elternfalle ist ebenfalls sehr beliebt. Klar, es gibt ja auch keine Rollenvorbilder für Bonusmütter und -väter oder gar für Patchwork-Großeltern. Ohne eine Idee von diesen Positionen, rutschen wir oft in traditionelle Rollenbilder und spielen das Spiel, das wir alle kennen: „Vater, Mutter, Kind“.
Doch wir sollten, vor allem am Anfang, mit der Rolle der neuen Freundin und des neuen Freundes vorlieb nehmen und nicht gleich Vesperdosen bestücken und uns in Erziehungsfragen einmischen, diese Aufgabe bleibt den Eltern vorbehalten.
DIE OPFERFALLE
Wer ist schuld an unserer Misere und wie gehe ich mit meinem Anteil um? Sehe ich diesen überhaupt? An einer gescheiterten Beziehung trägt nie nur einer die Verantwortung. Hier gilt es ehrlich auf die (gemeinsame) Vergangenheit zu schauen und Verantwortung dafür zu übernehmen.
Auch dafür brauchen die meisten von uns professionelle Hilfe.
DIE EIFERSUCHTS- UND KONKURRENZFALLE
Auf welches Feld begebe ich mich, wenn ich mit den Kindern meines Partners um dessen Zeit, körperliche Zuwendung oder Liebe konkurriere? Oder der Ex zeigen möchte, dass ich die besseren Kindergeburtstage ausrichte?
Sicher ist in diesem „Spiel“ nur der Endstand: Wir verlieren immer!
Hier begegnen wir unseren eigenen alten Sehnsüchten und Mustern, die mit dem Jetzt und Hier nichts zu tun haben – sich allerdings für uns aktuell ganz real anfühlen.
WAS KANN HELFEN DIESE FALLEN ZU UMSCHIFFEN ODER ZUMINDEST WIEDER RAUSZUKOMMEN?
Die eigene Verantwortung übernehmen für:
Trigger, Glaubenssätze, Verletzungen, Gefühle, meine Vergangenheit und Taten etc. und sich Hilfe holen für diese sehr persönliche Arbeit!
10. Mangelnder Austausch zu wichtigen Themen
Was wollen wir? Welche Werte und Bedürfnisse haben wir? Als Mensch? Als Paar? Als Familie?
Unsere eigenen Werte und die darunterliegenden Bedürfnisse zu erkennen und zu definieren ist ein langer Prozess. Oft spüren wir erst durch Einschränkungen, was uns fehlt und was wir uns wünschen.
Auch gehen wir häufig davon aus, dass dem anderen die gleichen Werte und Ziele wichtig sind – schließlich lieben wir uns doch!
Aber vielleicht nehmen wir mindestens unterschiedliche Wege zu unseren Zielen, haben ein anderes Tempo, Leben unsere Werte mit Leichtigkeit oder großer Ernsthaftigkeit …?!
Das kann man tun:
Reflexion und Austausch in persönlicher Sprache und die Bereitschaft einen Umgang mit Unterschiedlichkeiten zu finden.
„Manchmal muss man die Perspektive wechseln, um den Himmel zu sehen!”
Unbekannt